Erfahrungsbericht einer Sozialarbeiterin und ehemaligen Flüchtlingshelferin (Initiative an der Basis)

Unsere Kollegin B. ist Teil von unserer Initiative an der Basis. Frau B. ist Sozialarbeiterin und hat neben ihrer Arbeit von 09/2015 – 8/2016 ehrenamtlich Geflüchtete unterstützt.

Erfahrungsbericht Teil 1+2, von Frau B.

Teil 1: Eindrücke als Freiwillige Helferin in der ersten Zeit

Ich hatte im Herbst 2015 in den Nachrichten davon gehört, dass viele Menschen aus Syrien nach Europa fliehen aufgrund des Krieges. Eine Freundin erzählte mir, sie hätte gesehen, dass viele Frauen und Kinder, die arabisch aussehen, in unserem Bahnhof übernachteten. Ich bin Sozialarbeiterin und wollte mir persönlich einen Eindruck vom Geschehen vor Ort am Bahnhof machen. Tatsächlich kamen stündlich mit dem Zug Menschen an. Männer, Frauen, Kinder – die meisten sprachen weder Deutsch noch Englisch. Über die sozialen Medien sprach sich die Situation schnell rum, so dass nach kurzer Zeit Helfer vor Ort waren, die unter anderem selbst Migrationshintergrund hatten und deren Sprache sprachen. Alle Helfer waren hoch engagiert, haben z. T. bis zu 18 Stunden täglich am Bahnhof unterstützt, sich kurzfristig Urlaub genommen, o.ä. Ich selbst war immer nach meiner Haupttätigkeit vor Ort. Wir haben Bananen und Wasser eingekauft und die Menschen versorgt. Einige äußerten, sie wollen weiter in den Norden oder nach Schweden. Wir haben den Menschen die Informationen, die wir hatten, mitgeteilt. Der Großteil hatte kein Geld bei sich, so dass wir versucht haben, für die Familien eine angemessene Übernachtungsmöglichkeit zu schaffen. Es war kalt, sie schienen müde und hungrig. Sie taten uns leid. Wir alle haben ohne zu zögern geholfen, wo Not war. Nach einiger Zeit eröffneten die Hilfsorganisationen eine Notunterkunft. So waren wir damit beschäftigt, die Menschen am Bahnhof aufzuklären über die Lage und sie in die Notunterkunft zu begleiten. Irritiert war ich das erste Mal in folgender Situation: Als wir gerade die Situation vor Ort erklärten, schrie ein arabischer Mann mich auf Arabisch an – mein Übersetzer sagte mir, er hätte mich mit einem Wort für Ungläubige beschimpft und verflucht und will jetzt sofort sein Ticket nach Schweden von mir. Ich war sprachlos und irritiert. Damit hatte ich nicht gerechnet. Wir Helfer standen neben unseren täglichen Verpflichtungen aus reiner Hilfsbereitschaft jede freie Minute am Bahnhof für diese Menschen. Wie kam er darauf, dass ich ein Ticket für ihn habe? Wieso dachte er, dass er Anspruch darauf hat, von mir ein Ticket zu bekommen? Wieso will er nach Schweden? Er kann doch froh sein, hier in Sicherheit zu sein? Ich konnte nicht weiter über die Fragen nachdenken. Zu groß war der Hilfsbedarf vor Ort. Zunehmend unterstützten wir die Hilfsorganisation in der Notunterkunft. Dort gab es warmen Tee, Wasser und Suppe mit Brot zum Abend. Ebenso gab es Klappbetten und wir verteilten Decken. Hier erlebte ich bei der Essensausgabe, wie ein Herr uns anschrie, weil irgendwas mit dem Tee ihm nicht passte. Wir waren 3 Frauen und hatten Angst, er würde den heißen Becher gleich nach uns werfen. In dieser Zeit begegneten wir dort Frauen, die angaben, aus unterschiedlichen Gründen allein nach Deutschland gekommen zu sein. Einige berichteten, ihr Mann wäre auf der Reise von anderen erschossen worden, andere erzählten, er wäre auf der Reise einfach ohne sie weiter, wieder andere Frauen sagten, sie sind vor ihrem Mann geflohen. Mein Eindruck von all diesen Frauen – so unterschiedlich sie waren – war, dass sie verängstigt waren. Einige erzählten unseren Übersetzern von Übergriffen, die sie erlebt haben. Sie weinten. An einem anderen Tag erlebten wir eine Gruppe irakischer Männer, die versucht hatten, von mir mehr Decken als vorgesehen zu erhalten, sie hatten trotz Übersetzer kein Verständnis, dass jeder nur eine Decke bekommen sollte. Sie hörten nicht auf, immer weiter zu fragen und gingen dann hinter den Ausgabetisch und nahmen sich einfach welche. Die Regeln und Organisation unsererseits schienen ihnen egal. Schließlich fragten sie einen Helfer nach Internet. Er gab Ihnen sein Smartphone und so buchten sie ihren Rückflug in die Heimat und verließen die Notunterkunft mit einigen arabischen Schimpfworten – die hörten wir so häufig, dass wir sie nach kurzer Zeit kannten. Die Gesamtsituation war für alle – Geflüchtete und Helfer – schwer. Daher versuchten wir, vieles nicht so ernst zu nehmen. Insgesamt wurde ich von September bis Dezember 2015 mehrfach angeschrien. In 2 Situationen hatte ich konkret Angst vor Gewalt gegen mich. Mehrmals fanden wir beim Durchgehen der Unterkunft Blutspuren – lange Blutspuren, wie ich sie bisher nur aus dem Fernsehen kannte. Was war hier geschehen? Die Übersetzer – mittlerweile waren sie sehr geschätzte Freunde – entschieden sich, die Hilfe einzustellen. Ich fragte, wieso. Sie zögerten und sagten nur, dass die Leute keinen Respekt haben. Es sei anders als zu der Zeit, als sie damals nach Deutschland kamen. Ich war überrascht. Auch mir war eine Vielzahl von Situationen von Undankbarkeit und verbaler Gewalt bekannt, doch hatte ich immer die in den Medien dargestellten bedrohlichen Situationen im Kopf. Die armen Menschen… Sie rieten mir ebenfalls, mich zurückzuziehen, und das tat ich dann auch auf dieser Ebene.

 

Teil 2: erste Unterstützungsbemühungen zur Integration

Im Frühjahr 2016 bildeten sich in meiner Stadt Projekte im Zusammenhang mit den Geflüchteten. Ich bin grundsätzlich kulturell interessiert und so war ich auch hier interessiert, den Geflüchteten zu begegnen. Gerne wollte ich sie unterstützen und bei der Integration helfen. Mein erster Eindruck war, dass die Menschen sehr freundlich sind. Sie lächelten und zeigten sehr offen ihre kulturellen Bräuche. So haben wir arabisch gegessen, getanzt und versuchten einige arabische Wörter zu lernen.

An einem Abend veranstalteten sie in einer Halle ein Fest. Ich war beeindruckt, wie sie trotz ihrer – wie ich annahm – traumatischen Erlebnisse so fröhlich sein konnten. Sie tanzten arabische Tänze und sangen. Wir freiwilligen Helfer waren dabei, beobachteten die Stimmung und versuchten mitzufeiern. Befreundete Syrer und Libanesen, die lange in Deutschland leben, waren gemeinsam mit uns dort. Nach ca. einer Stunde veränderte sich die Stimmung. Einige der arabischen Männer gingen aktiv auf junge deutsche Frauen zu, tanzten sie an und wurden aus der Gruppe mit Klatschen und Rufen unterstützt. Die Frauen wurden in die Mitte gezogen, und um sie herum tanzten mehrere Männer. Ich konnte die Stimmung zunächst nicht richtig einordnen – welche Rolle hat diese Frau in der Mitte? Die außen herumstehenden Männer riefen arabische Worte und lachten. Meine arabisch sprechenden Freunde wollten plötzlich nachhause. Ich fragte sie, was los ist – nach mehrmaligem Fragen übersetzten sie die arabischen Rufe. Ich möchte die Übersetzung der Worte an dieser Stelle nicht wiederholen, doch kann ich sagen, es war der Frau und allen Frauen gegenüber, die nicht der islamischen Religion angehören, verachtend.

Ich war sehr geschockt, wie Menschen mir und allen anderen so nett begegnen können und gleichzeitig so verachtende Dinge über mich und alle anderen „Ungläubigen“ denken und laut proklamieren. In meinem ganzen Leben ist mir noch nie so eine grenzenlose Falschheit begegnet. Sie wussten, wir können ihre Worte nicht verstehen. Die meisten dort anwesenden „Ungläubigen“ hatten sehr viel Zeit und Mühe für diese Menschen investiert, die uns nun in aller Öffentlichkeit verachten und vorführen. Es gab auch immer wieder sehr nette Menschen, die vorgaben sehr gebildet zu sein. So nutzte ich die Gelegenheit, sie nach diesen Ereignissen zu fragen. Es war mir wichtig, diese Dinge zu verstehen. Sie antworteten, dass seien Menschen vom Dorf, sie hätten keine Bildung – wir sollten das nicht so ernst nehmen. Ich war in dem Moment erleichtert, nur eine Minderheit ohne Bildung. So unterstütze ich gezielt die Menschen, die mir vernünftig schienen. Konkret erinnere ich mich an einen Syrer, der vorgab als Lehrer in Syrien tätig gewesen zu sein. Er bräuchte dringend Arbeit, um seine Mutter, die noch in Syrien ist, zu unterstützen. Wir verabredeten uns in einem Cafe und besprachen, wie ich ihn unterstützen kann. Er sagte, er hat zuhause einen Laptop, auf dem seine Bewerbungsunterlagen sind, und das Einfachste wäre, ich käme zu ihm. Da ich nun schon einige Erfahrungen hatte und mich gezielt über die islamische Religion belesen hatte, fragte ich, ob das aus religiösen Gründen schwierig werden könnte. „Ich bin gebildet und weiß, wie das Leben in Europa ist. Keine Sorge!“, so die Antwort. Ich wusste, dass der Islam unterschiedlich ausgelegt wird, also nahm ich ihn beim Wort und wir trafen uns bei ihm. Er öffnete mir in Unterhemd und Jogginghose die Tür. Ich fragte ihn, warum er so rum läuft und ob er sich was überziehen kann. „Mir ist warm und wir (Syrer) laufen immer so zuhause rum.“ Mir war es im Grunde egal, ich hatte schon an unterschiedlichen Stellen kulturelle Eigenarten festgestellt – z. B. dauerhaftes Barfußlaufen zuhause –, die ich nicht alle nachvollziehen und aufklären konnte. So nahm ich es hin, und wir arbeiteten an den Bewerbungen. Als wir fertig waren, wurde er plötzlich sehr aufdringlich und nutzte seine körperliche Überlegenheit für seine offensichtlich doch anderen Interessen. Ich konnte mich durch Vehemenz unter Körpereinsatz befreien und wurde laut und sagte ihm ganz klar, sowas geht nicht. Er sagte mir daraufhin folgendes: „In unserer Kultur gibt es ein Sprichwort. Wenn ein Mann mit einer Frau allein ist, ist der Teufel auch im Raum. Das ist so. Jetzt habe ich sowieso schon gesündigt. Jetzt will ich auf jeden Fall noch was haben dafür. Das wäre so, als wenn jemand eine Bank überfällt, ins Gefängnis muss, und wenn er raus kommt, ist das Geld weg: Alles umsonst!“ Mir fiel dazu nichts mehr ein, und ich habe zugesehen weg zu kommen. Danach habe ich über diese Situation lange nachgedacht. Was ist das für eine Doppelmoral, die dieser gebildete Mann so selbstverständlich lebte? Immer noch war ich bestrebt, die Dinge zu verstehen. Immerhin sind nicht wenige in unserem Land, und sie scheinen alle sehr selbstbewusst.
Ca. 3 Wochen nach dem Vorfall bei dem Syrer zuhause rief er mich an, um mir mitzuteilen, er hätte ein Jobangebot. Trotz aller Ereignisse gratulierte ich ihm. Denn das war der Sinn des Bewerbungsschreibens und meiner investierten Zeit und Mühe. Er war darüber nicht froh. Ich fragte ihn zu den Rahmenbedingungen. Diese waren gut. Er hatte einen vom Bildungsministerium anerkannten Bachelorabschluss, und so wollte ihn die Firma einstellen. Das heißt, er hätte sein Auskommen gehabt. Er kritisierte den Fahrtweg. Es waren 35 km. Das wäre zu weit, außerdem möchte er in eine bestimmte Firma xy. Ich erklärte, dass das erstmal ein Einstieg sein kann, er sich jederzeit weiter entwickeln kann, dann allerdings schon ein Zeugnis und Berufserfahrung vorweisen kann, was immer wichtig und hilfreich ist in Deutschland. Er lies mich reden, um dann zu sagen: „Ich will in die Firma xy. Alles andere mach ich nicht.” Er sagte mir, es wäre meine Schuld, wegen mir hat er nun das Angebot der Firma und das Jobcenter droht ihm deswegen mit Leistungskürzungen. Er sagte mir, er werde das schon regeln. Das glaubte ich ihm, denn aufgrund von sehr genauen Fragen anderer Geflüchteter hatte ich inzwischen den Eindruck gewonnen, dass sie sehr gut vernetzt sind und alle Lücken im Sozialsystem kennen. So löste er das Problem und bezog weiterhin Leistungen vom Jobcenter. Ich erinnere mich gut, wie ich trotz allem versuchte, Verständnis zu haben. So sagte ich mir: „Wenn er das so gelernt hat, weiß er es nicht besser.“ Ich hatte durch die politischen Äußerungen in den Medien den Eindruck, es wird von mir als Deutsche erwartet: Verständnis. Toleranz. Unterstützung.

Über Kontakte erfuhr ich später, dass einige Syrer Umzugshilfe anbieten. Der besagte Herr war ganz vorne mit dabei. So verdienten sie genug Geld, was sie bar bekamen und nicht beim Jobcenter angaben. So haben sie mit dem ALG II gutes Auskommen.

Selbstbewusst auftreten und dann Geld vom Sozialstaat fordern? Ich fragte mich: „Wie passt das alles zusammen?“ So begab ich mich auf die Suche nach Menschen aus diesem Kulturkreis, die selbst im Islam erzogen wurden und später zum christlichen Glauben konvertiert sind, und besprach diese Erlebnisse mit Ihnen.
Sie erklärten mir Folgendes:

Der Islam teilt die Menschen in gläubige Muslime und Ungläubige. Zu den Ungläubigen gehören Andersgläubige und Menschen, die gar nicht an Gott glauben. Ungläubige (Kufr) sind wertlose Menschen. Gläubige Muslime, die fünf Mal täglich beten, nehmen von Kufr keine Speisen und Getränke an. Ziel ist, alle Menschen zum Islam zu führen – wenn nötig mit Gewalt. So kam es regelmäßig in einem sozialen Stadtteil-Café, in dem ich ehrenamtlich tätig war, vor, dass Syrer hineinkamen und wir Ihnen wie allen anderen auch kostenlos etwas zu trinken anboten. Jedes Mal wurde freundlich abgelehnt mit der Begründung, gerade etwas getrunken zu haben. Der Bauch sei voll hieß es. Es wirkte so freundlich und authentisch – ich wäre damals nie auf die Idee gekommen, dass das Ablehnen religiös motiviert war. Ich verbrachte einige Zeit mit der Familie, und immer wenn wir bei anderen Muslimen waren, wurde freundlich angenommen und bei uns immer abgelehnt. Auf einer von den Helfern organisierten Feier gab es ein großes Buffet. Auch hier wurde über den ganzen Abend nichts gegessen oder getrunken. Ich erfuhr, dass Lügen gegenüber Ungläubigen erlaubt sind. Ebenso sind Lügen auch erlaubt, wenn es dem Frieden dient.

Lügen, wenn es zum Frieden dient, – wer soll das denn entscheiden? Diese Frage stellte ich Muslimen. Eine eindeutige Antwort habe ich nicht bekommen. Vielmehr wurde dieser Aspekt zunächst abgestritten und erst wenn ich detaillierter mein Wissen offengelegt hatte, gaben sie das zu.

Durch Kontakte und Hilfsangebote erlebte immer wieder einzelne Geflüchtete – aus meiner Sicht sind es zu 80 Prozent alleinreisende Männer, die mir gegenüber fordernd auftraten: „Gib mir dein Auto ich muss für meinen Führerschein üben!“ oder „Du musst jetzt jeden Tag mit mir Deutsch lernen ich habe in 2 Wochen Prüfung!“. Ich fragte, wie er dazu komm, solche Forderungen an mich zu stellen. Er sagte: „Deutschland kann froh sein, dass wir hier sind! Ohne uns war Deutschland vorher kaputt. Es gab keine Menschen. Wir retten Deutschland. Dafür muss Deutschland uns was geben. Die Deutschen sind dumm – alle arbeiten nur und haben keine Familien.“ Diese Aussage erklärt alle großen und kleine Eindrücke, die ich in 3,5 Jahren Flüchtlingshilfe gesammelt habe. Sie denken, wir schulden Ihnen etwas, daher die ständigen Forderungen. Mercedes vom Jobcenter, sonst wird nicht gearbeitet, Deutschkurs nur in der Stadt wo Freunde leben – damit Jobcenter die Fahrkarte zahlt, die am Wochenende weiter verkauft wird – und an den Tagen, wie sie wollen. Arbeit nur in einer ganz bestimmten Firma. Wenn Ramadan ist, gar nicht oder bestenfalls nur nach bestimmten Vorgaben. Dass unser Sozialsystem für Hilfsbedürftige in Notlagen ist und ebenso finanziert werden muss, konnten oder wollten diejenigen, mit denen ich sprach, nicht verstehen. Ich habe bis heute nicht verstanden, woher dieses Bild vom „unendlichen Reichtum ohne Gegenleistung“ kommt. Es begegnet mir immer wieder. In einer Diskussion sagte ein Mann aus Afghanistan: „Die Deutschen sitzen nur auf der Straße!“ Er bezog sich auf einen sozialen Brennpunkt, in dem seine Schule war. Offensichtlich war ihm entgangen, dass es noch andere Deutsche gab.

Ich verfolge hin und wieder die Helfernetzwerke in den sozialen Medien und stelle fest, dass viele der Helfer mittlerweile die gleichen Erfahrungen wie ich machen und enttäuscht sind. Sie organisieren über Kontakte Praktikumsplätze, Fahrräder, Wohnungen, Möbel und Kleidung – doch häufig werden die Sachen abgelehnt ohne Begründung oder mit der Begründung „Ich hätte gern ein neues, größeres, o.ä.“. Insbesondere der Wohnungsmarkt ist sehr überlaufen mit Nachfragen. Ich habe mehrfach erlebt, dass Syrer mir erzählten, sie bekommen keine Wohnung, weil sie Syrer sind. Bei Nachforschungen stellte sich dann heraus, sie kamen zu spät zur Besichtigung, hatten die gemeinsam vorbereiteten Unterlagen nicht dabei, o.ä. Ich habe mehrfach versucht, das zu erklären und auch, dass auf ein Wohnungsangebot 30 Bewerber oder mehr kommen und es klar ist, dass nicht jeder die Wohnung bekommen kann. Das konnten sie nicht annehmen. Da einige wirklich Druck machten, dringend eine Wohnung zu brauchen für die Familie, haben wir über Kontakte geeignete Wohnungen für diese Familien organisiert. Diese Wohnungen hatten ausreichend Platz nach Deutschen Standards – z. B. für 2 Kinder 4 Zimmer etc. –, doch am Ende wurden diese Wohnungen einfach abgelehnt. Gründe konnten sie nicht benennen. Ich musste feststellen, dass es so dringend dann wohl doch nicht war.
IMG_7511_Ehrenamliche sortiert Spenden fuer ContainerheimBeeindruckt war ich zunächst von der von Helfern auf Spendenbasis organisierten Kleiderkammer. Ich erinnere mich noch gut, wie viele Menschen sich mit viel Zeit und Fürsorge für die Kleidung engagierten. Noch nie habe ich ein so geordnetes Lager gesehen. In meiner hauptberuflichen Tätigkeit arbeite ich mit benachteiligten Erwachsenen, meist deutschen Menschen. Sie brauchen auch Klamotten und das Geld ist häufig sehr knapp. Für sie ist die Kleiderkammer des roten Kreuzes oder andere Sozialkaufhäuser Anlaufstelle. Wir sind dankbar für diese Möglichkeit, doch im Vergleich zu der Auswahl, die in der Kleiderkammer für die Geflüchteten geboten wurde, ist das ein Witz. Die Kleiderkammer hatte so viele Sachen, vor allem sehr gut erhaltene und hochwertige Markenklamotten. Als Hauptansprechpartnerin für viele Helfer war ich häufig beauftragt, Kleidung zu besorgen. Die Hemden, Sportschuhe und Jeans, um die es sich hauptsächlich drehte, waren den Geflüchteten, für die sie gedacht waren, in 9 von 10 Fällen nicht annehmbar. Man hätte sich lustig gemacht über Karomuster (eine renommierte Marke, Neupreis des Hemdes 95,-) und unpassende Sportschuhfarben. Ich erinnere mich, wie ein anderer Helfer 15 Paar Schuhe holte, um auf die „Bedürftigen“ und ihre Interessen einzugehen – am Ende wurde 1 Paar angenommen, über alle anderen wurden gelacht. Ich meine hier keineswegs alte abgetragene Schuhe – an den meisten hing sogar noch das Preisschild. Passende Größe, gängige Sportmarken – nichts wurde anprobiert.

Damals (2016) hatte ich das erste Mal den Gedanken, dass die Lage in Deutschland kippen könnte. Toleranz? Ja – aber bis zu welchem Maß? Selbstverleugnung eigener Werte? Bedürftigen Menschen helfen ja – das ist sicher gut für unsere gesellschaftlichen Werte – teure Markenprodukte, die nicht gut genug sind, die sich Sozialhilfeempfänger, die Deutschland als ihre Heimat sehen, wünschen würden, weil sie im Winter keine geeignete Jacke haben und frieren. Zu den Angeboten für die Geflüchteten haben sie keinen Zugang – das kann es nicht sein und ich wusste und weiß bis heute nicht, wie ich das meinen Klienten erklären kann.

 

 

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